Fast Nichts

nannten Ulla und Martin Kaufmann ihren mehrfach preisgekrönten Halsreif.
Ein geschmiedetes Band aus matt glänzendem Gold, sonst nichts. Kein Verschluss, keine überflüssige Zier. Absolute Reduktion. Wie ein elastisch federnder Span legt sich der schlanke Reif betörend schlicht und schmeichelnd um den Hals der Trägerin, so als würde er sich mit ihr verbinden, ein Stück ihrer Identität sein. Hat man dieses Gefühl einmal verspürt, möchte man diesen Schmuck nicht mehr ablegen.

Die Frage, wer von beiden den Hauptanteil an der Ausführung hat, beantworten die Kaufmanns mit lächelnden Augen. Das erste Feingoldband aus einem ausgewalzten Goldbarren, materialbedingt noch weich und schlaff, ohne Spannung, war die Idee von Ulla Kaufmann. Die ersten geschmiedeten Bänder, zunächst manchmal auch aus silbrig mattem Weißgold mit blitzenden Außenkanten, stammen von Martin. Doch ist es ihnen unwichtig, wer auf dem gemeinsamen Weg welchen Teil eingebracht hat. Ihre Arbeit ist ein wechselnder Austausch, geprägt von gegenseitigem gedanklichen Durchdringen. Wenn die bessere Lösung gefunden ist, spielt es keine Rolle, wer sie herbeigeführt hat.

So sind auch die großformatigen Gefäße entstanden. Der Weg dahin führte über das geschmiedete Band. Wie die Halsreife leben auch die Gefäße von der Spannung des nunmehr zur Gefäßwandung verbreiterten Bandes. Die Idee beruht auf der Erkenntnis der Abhängigkeit von Außen- und Innenraum und der Bedeutung des Raumes dazwischen. Normalerweise wird die Innenform eines Gefäßes durch die Außenform bestimmt und umgekehrt. Das gespannte Band hebt dieses Prinzip auf. Es ermöglicht einen dritten Weg. Innen ist hier nicht gleich außen. Die Möglichkeiten des Zwischenraumes werden ausgelotet. Von ihm gehen Experimente mit der Form aus.

Der Raum zwischen den Spiralen der Wandung ist bei den kaufmannschen Gefäßen kein Notraum, sondern Unruheherd. Die Grenzen zwischen den Räumen fließen.
Das Auge sucht den Weg von außen und zurück. Dabei werden Vielschichtigkeit und Dynamik wahrnehmbar. Spannungen bauen sich auf, zwingen den Betrachter, sich an der geistigen Auseinandersetzung, die der Entstehung des Gefäßes vorausging, zu beteiligen.

Die Idee ist nicht mit leichter Hand zeichnerisch hingeworfen. Sie entsteht im Kopf als Manifestation von Gedanken und Diskurs miteinander. Es ist ein ständiges Ausloten, wohin man geht. Das Sensibilisieren aller Möglichkeiten des umhüllten Raumes hilft, auf diesem Weg zu Klarheit zu gelangen. Das Fließen des Lichtes zwischen den Räumen ergibt die formale Weichheit der Gefäße.

Nur wenige haben eine geschlossene Wandung, um zum Beispiel als Weinkühler zu taugen oder Flüssigkeiten aufzunehmen. Meistens bleibt die Form in der Vertikalen offen.

Alle Gefäße haben jeweils einen eigenen Ausdruck. Die verschiedenen Höhenmaße schaffen stets (oder: immer wieder) ein anderes Abhängigkeitsgefüge in den Proportionen. Geringfügige Variationen der Höhenüber- und -unterschneidungen der Gefäßränder beeinflussen die Gesamtform. Ihre feinen, spannungsvollen Linien zeichnen nahezu grafische Strukturen.
Das Abheben des unteren Randes vom Boden bei einigen Gefäßen vermittelt den Eindruck von Schwerelosigkeit. Die Bodenhaftung scheint aufgehoben.
Das architektonisch gebaute Gefäß schraubt sich kraftvoll und zugleich mit großer Leichtigkeit unaufhaltsam nach oben. Waren die ersten Gefäße alle zum oberen Rand hin verjüngt, eher introvertiert geschlossen, zeigt sich zunehmend eine Tendenz zu offenen, extrovertierten Formen.

 

Das Material ist Silber

Seine Reinheit und Schönheit lassen das Spiel von Licht und Schatten innerhalb der Räume hervortreten. Kein anderes Material vermittelt diese Leichtigkeit und Transparenz wie Silber.
Gold wäre schon seiner materialspezifischen Eigenschaften wegen für die Gefäße nicht geeignet. Vergoldetes Silber oder versilbertes Messing schließen Ulla und Martin Kaufmann ebenso dafür aus, weil sich die Sprache des Materials der Formensprache widersetzt. Der Weg zur angestrebten Ausdrucksstärke mit reduzierten Mitteln führte für Ulla und Martin Kaufmann zwangsläufig über das Material Silber.
Wurde das silberne Band anfänglich wie für die Halsreife geschmiedet, so erforderte die zunehmende Größe der Gefäße die Entwicklung einer eigenen Technik, bei der es über Holzrollen gezogen wird.
Die erdachte Form wird über Vorstufen aus Papierstreifen, Pappe und Messing erprobt. Messing ist fester, aber auch starrer als Silber.
Es erlaubt, mit Hilfe von Schrauben, Stegen und Holzkeilen die letztendliche Form zu manifestieren. Diese Art der Annäherung an die Form funktioniert jedoch nur, wenn man die Metalle kennt und über die notwendige Erfahrung und Fantasie für die Übertragung auf das weichere, sensiblere Silber verfügt. Den Silberkörper in die Form zu bringen, ist eine kräftezehrende Arbeit, die absolute Beherrschung des Metiers voraussetzt, die fortwährend geistige Auseinandersetzung erfordert und die wieder und wieder (oder: immer wieder) das Überdenken eines jeden neuen Schrittes erzwingt.
Die Kaufmanns empfinden sich dabei als Grenzgänger.
„Die Bewegung und Drehung ist oft unmenschlich schwer zu machen; die Form zum Halten zu bringen. Aber wir machen das einfach. Wir gehen so weit, bis wir die Grenzen erreicht haben. Diese setzt das Material selbst.”

Jene Grenze wird von beiden als eine Art Fügung akzeptiert. Ist sie erkannt, muss sie nicht um jeden Preis niedergebrochen werden. Wenn etwas aus technischen Gründen formal nicht lösbar erscheint, bleibt es zunächst liegen, um später in Ruhe wieder aufgenommen zu werden. In der Zwischenzeit findet die gedankliche Lösung des Problems im Kopf statt. Die Angst davor, mit den Gefäßen größer zu werden, ist zugleich Verlockung, Grenzen zu überwinden.

Parallel zu der Arbeit an den Gefäßen folgen Ulla und Martin Kaufmann weiter den Herausforderungen des flexiblen Bandes. Als Halsreif erfährt es mehr und mehr eine eigene Entwicklung. Seit dem letzten Sommer sind streng gebaute „Architekturringe” als neue Facette hinzugekommen. Ringe, deren leuchtend-farbige Steine sich sanft zwischen die Finger schmiegen und dort ein eigenes Leben entfalten. Ob und wie sie die Arbeit an den Gefäßen beeinflussen werden, wird sich zeigen.

Strenge und Weichheit sind die beiden Pole im Schaffen von Ulla und Martin Kaufmann. Das berühmte „Weniger ist mehr” umschreibt dessen Charakter nur unzureichend, denn bei aller formalen Reduktion schwingt in ihren Arbeiten immer auch eine sinnliche Komponente mit. Ihre Arbeiten sind die Konsequenz ihres Denkens und ihrer Empfindung. In eine Schublade einordnen lassen sich Ulla und Martin Kaufmann nicht. Sie sagen über sich: „Es gibt viele Möglichkeiten zu leben. Schwarz oder weiß haben wir nie gelebt. Grau ist nicht die Konsequenz ...” Betrachtet man eines der Gefäße, ist zu verstehen, was gemeint ist. Konzept und Traum.