Ein Kubus ist ein Kubus ist ein Kubus

Huldigungen an den Kubus

Wann beginnt ein Werk, Vermittler zwischen Welt und Subjekt in dem Sinn zu werden, dass es Ausdruck möglicher Sichten, Entdeckung besonderer Aspekte und dadurch möglicher Deutungen des Realen, Ausdruck einer subjektiven Auseinandersetzung mit dem Seienden ist?

Mit ihren Kuben erweitern Ulla und Martin Kaufmann die tradierten, zwischen Schmuck und Repräsentation angesiedelten Grenzen der Goldschmiedekunst. Tatsächlich kommen die Kuben als eine Art selbstbezüglicher Readymades daher, die ihre Herkunft aus der Welt des Alltags leugnen. Eine persönliche Handschrift ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, die Funktionalität wird ebenso negiert wie inhaltliche Implikationen oder ein etwaiger künstlerischer Mehrwert. Diese scheinbar referenzlosen Gebilde sind dennoch in einer Doppelhelix mit dem Biografischen verbunden, mit einer persönlichen, fast schon existentiellen Auseinandersetzung mit ihrer Lebensumwelt. Dazu gehört das Domizil in Südfrankreich unweit der Pyrenäen, eine typisch südländische, würfelförmige Architektur, die Ulla und Martin Kaufmann sich seit den 1960er Jahren in einem kontinuierlichen Transformationsprozess aneignen. Oder aber die schreckliche Nachricht von 39 Toten, die die britische Polizei 2019 in einem verschlossenen Container einer Schlepperorganisation entdeckte.

Ein Kubus kann also identitätsstiftendes Zuhause sein oder todbringendes Gefängnis. Entscheidend ist der Zugang, die Möglichkeit des Öffnens, die Permeabilität von Innen und Außen, Draußen und Drinnen. Der Drehpunkt, an dem sich die Kuben öffnen lassen, steht im Zentrum: er ist mathematisches Problem und zugleich gestalterische Herausforderung im Sinne der richtigen Proportionen. Der Kubus zählt aber auch zu den platonischen Körpern. Selbige transzendieren den einem Gestaltungswillen zugrunde liegenden Wunsch, die der Welt und dem Kosmos inhärenten Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die Phänomene zu ordnen und dadurch zu verstehen. In ihrem Purismus verkörpern sie eine universelle Zeitlosigkeit.

Die ersten Kuben von Ulla und Martin Kaufmann entstanden auf dem geistigen Nährboden einer Zeit, in der Künstler*innen immer neue Strategien entwickelten, um die traditionellen Vorstellungen der Hochkunst auszuhebeln. Nicht wenige strebten nach einer Reduktion von Malerei und Skulptur auf das Wesentliche. Wie etwa Josef Albers, der in vielen Variationen seines Themas, den Huldigungen an das Quadrat, eine Quintessenz seines elementaren Bilddenkens erschuf, um den Widerspruch von physikalischer Wirklichkeit von Farbe und Form und ihrem psychischen Eindruck zu verdeutlichen. Oder aber Donald Judd, der vielleicht Radikalste unter den Minimalisten, der der Plastik den letzten Rest an Illusionismus raubte. Der amerikanische Künstler entwickelt ab den 1960er Jahren seine Vorstellung von dem neutralen specific object und konterkarrierte in der seriellen Reihung indifferenter Baukörper Leitvorstellungen von Expression und Konstruktion. Kunst wird hier auf den bloßen Objektstatus zurückgeführt. Die specific objects verweisen nur auf das, was ihnen als Objekt eigen ist: ihre Dreidimensionalität, die sich durch Größe, Form, Farbe, Materialität und ihr Verhältnis zum Raum definiert.

Auch die Kuben von Ulla und Martin Kaufmann können als autonome Objekte der Kunst verstanden werden, entstanden aus dem Geist des Goldschmiedehandwerks. Sie verkörpern die Idee einer in sich ruhenden Willkürlichkeit unabhängig jeglicher schmuckhaften Verantwortung. Darin besteht der Reiz für den Betrachter. Ihn braucht es auch zum Öffnen, denn erst in dieser erkennenden Bewegung erschließt sich das verborgene Wesen eines jeden Kubus.

Die Kuben bilden eine lebenslange Herausforderung, der sich die beiden Goldschmiede Ulla und Martin Kaufmann nun schon seit fünfzig Jahren stellen. In ihrem beständigen Tun erinnern sie an den Mythos von Sisyphos, den Albert Camus letztlich als glücklichen Menschen beschrieb.