Mit dem Hammerschlag der Spätmoderne

Das Label Ulla und Martin Kaufmann steht für Silber- und Goldschmiedearbeiten von höchster handwerklicher und formaler Präzision. Es steht für ein stringentes künstlerisches Konzept, das die verschiedenen Arbeitsgegenstände – Gefäße, Bestecke und Schmuck – miteinander verbindet. Deren formale Strenge verweist auf ihre Verwurzelung in der klassischen Moderne. Doch Vorsicht ist geboten. Die vielfach ausgezeichneten Arbeiten bedienen nur auf den ersten Blick den funktionalistischen Kanon von Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit. Ulla und Martin Kaufmann arbeiten an ihren Stücken, bis sie funktionieren – wobei unter funktionieren mehr als die reine Zweckform zu verstehen ist. Viele ihrer Arbeiten entstehen durch das Ausschmieden von Gold- und Silberbändern.
„Wie die Halsreifen leben auch die Gefäße von der Spannung des nunmehr zur Gefäßwandung verbreiterten Bandes. Die Idee beruht auf der Erkenntnis der Abhängigkeit von Außen- und Innenraum und der Bedeutung des Raumes dazwischen. Normalerweise wird die Innenform eines Gefäßes durch die Außenform bestimmt und umgekehrt. Das gespannte Band hebt dieses Prinzip auf. Es ermöglicht einen dritten Weg. Innen ist hier nicht gleich außen.
Die Möglichkeiten des Zwischenraums werden ausgelotet. Von ihm gehen Experimente mit der Form aus.” (1)

Ulla und Martin Kaufmann haben die alten Techniken des Silber- und Goldschmiedens zu ihrem Grundthema gemacht und dabei, gleichsam mit dem Hammerschlag der Spätmoderne, eine eigene Formensprache entwickelt.

Seit 43 Jahren leben und arbeiten Ulla und Martin Kaufmann zusammen. Die Kunstgeschichte und Kunstgegenwart kennt zahllose Künstlerpaare, bei denen der eine, fast immer der weibliche Partner, als Muse des anderen fungiert oder deren Werke von den Spuren gegenseitiger Inspiration zeugen. Doch selten dürfte eine Künstlerpartnerschaft ein gegenständliches Werk mit derart symbiotischem Charakter hervorgebracht haben. Im „richtigen Leben” sind Ulla und Martin Kaufmann natürlich selbständige Persönlichkeiten, so unterscheidbar wie andere Menschen auch.
Doch bezogen auf die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit sind die beiden nur im Plural zu denken, sind sie schlicht „die Kaufmanns”.

Die Entwürfe für ihre Arbeiten, die in der gemeinsamen Werkstatt in Hildesheim entstehen und deren Prototypen von ihnen selbst ausgeführt werden, entwickeln sie in engster Zusammenarbeit. Diese folgt keinem festgelegten Muster, wonach zum Beispiel die Idee für eine neue Form von dem einen käme und der andere der Spezialist für die technische Umsetzung wäre. Für Außenstehende ist eine solche Arbeitsweise schwer nachvollziehbar, verbinden wir doch mit einer künstlerischen Arbeit gewöhnlich eine autonome Persönlichkeit.

Die besondere Art der Zusammenarbeit der Kaufmanns hat, jenseits der persönlichen Paarbeziehung, noch eine andere, konstitutive Seite, die im Gegenstand ihrer Arbeit und in der Art ihrer Produktion liegt. Ihre Arbeiten sind Objekte angewandter Kunst, deren Bestimmung sich nicht zuerst und vor allem nicht allein über kontemplative Betrachtung, sondern erst im Gebrauchen erfüllt: Gefäße und Bestecke müssen handhabbar sein. Und die Schmuckstücke dienen ebenso einem wenn auch nicht gerade praktisch zu nennenden Zweck: nämlich der ästhetischen Selbstversicherung ihres meist weiblichen Trägers. Diese durchaus sehr verschiedenen Gebrauchsfunktionen verbinden sich mit einer zweiten, für das Prinzip Kunsthandwerk wesentlichen Bestimmung: dem forschenden Interesse am Material und seinen Ausdrucksmöglichkeiten.

Die genaue Kenntnis der handwerklichen Ver- und Bearbeitung, also das Wissen um die Eigenschaften des Materials und seines Verhaltens im Prozess der Formung, ist essentieller Bestandteil des Entwurfsprozesses. Und eben daraus resultiert die untrennbare Verbindung zwischen Entwurf und Ausführung.
Die Wertschätzung kunsthandwerklicher Arbeiten basiert auf ihrer praktischen wie ästhetischen Beständigkeit. Ein derart bestimmtes künstlerisches Programm kann sich erst im Laufe eines kontinuierlichen Arbeits-lebens entwickeln. Von den Künstlern, so Bazon Brock, sei das Altwerden zu lernen, „also zu lernen, Lebenslauf und Wertlauf so in Beziehung zu setzen, dass die Erfahrung von Vollendung möglich ist.”
Er beschreibt diesen Prozess als „Strategie der Meisterschaft”:
„Für Künstler ist Altern immer schon eine Strategie des Werkschaffens gewesen – eine Strategie der Meisterschaft.
Künstler wussten immer, dass ihr frühes Werk immer das ältere ist und das Alterswerk das neueste. Sie setzten sich der Kritik aus, dass ihnen nichts Originelles mehr einfalle, wenn sie bei dem Altbewährten blieben, oder sie mussten sich dem Vorwurf stellen, nicht mehr die Alten zu sein, wenn sie sich um Innovationen bemühten. Sind sie deshalb nicht mehr alterswerkfähig?

Künstler wussten und wissen, dass sie ihrem Werk die Chance bieten müssen zu veralten, damit es als historisches Bedeutung erhalte. […]
Das Werk sei also die Einheit von Beenden und Vollenden einer Arbeit.
Das ist also eine entscheidende Forderung vor allem im Zeitalter prinzipiell endloser Werkprozesse, im Zeitalter der Bilderflut in allen Medien.” (2)

Wenn Ulla und Martin Kaufmann nicht gerade zu Messen oder auf Ausstellungen unterwegs sind oder sich beim Um- und Ausbau ihres Ferienhauses in Frankreich entspannen, dann sind sie in der kleinen Großstadt Hildesheim anzutreffen. Umgeben von einem großen Garten, liegen Haus und Werkstatt am Rande der Stadt, dort, wo sich diese der Bördelandschaft mit ihren fruchtbaren Feldern öffnet. Als Besucherin kann man hier der Aufforderung von Bazon Brock ganz wörtlich folgen: „Lernen wir von den Künstlern, wie man in seiner Tätigkeit Leben und Arbeiten sinnvoll zusammenbringt.” (3)

Ulla und Martin Kaufmann leben dieses Ideal eines ganzheitlichen, nicht entfremdeten, also sinnstiftenden und sinnerfüllten Tätigseins, bei dem Hand- und Kopfarbeit quasi ungetrennt erscheinen. Hier sind intellektuelle Bildung und manuelle Arbeit kein Widerspruch. Zum Leben gehören, Dank eines beeindruckend großen Gemüsegartens, Elemente einer Subsistenzwirtschaft ebenso wie die gemeinsamen Mahlzeiten mit den Mitarbeitern ihrer Werkstatt.

Bei Ulla und Martin Kaufmann stehen – wie könnte es anders sein? – die von ihnen produzierten Arbeiten nicht nur einfach dekorativ in der Gegend herum. Die von ihnen entwickelten Bestecke und ihre Gefäße – eigene wie die anderer Kunsthandwerker (ich vermute auch hier: Subsistenzwirtschaft!) – werden werktäglich benutzt. Arbeiten und Leben mit allen Sinnen – und Essen und Trinken gehören als kleines tägliches Ritual unbedingt dazu. Noch bevor das Essen auf dem Teller liegt, der Wein ins Glas eingeschenkt wird, beeinflusst das Geschirr die Haltung – und Haltung ist für Ulla und Martin Kaufmann nicht nur im Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Arbeit ein lebensbestimmender Wert. Diese Wertsetzung vollzieht sich unaufgeregt und mit selbstverständlicher Gelassenheit. Hier wird keine Schlacht gegen Pizzaservice und Wegwerfgeschirr geschlagen und damit etwa ein wie auch immer geartetes „kulturelles Gegenprinzip” zelebriert. Und doch sensibilisiert erst der andauernde Umgang mit diesen schönen Dingen für die besonderen Qualitäten des kunsthandwerklichen Arbeitsprozesses mit seinen sinnlich erfahrbaren authentischen Materialien.

Wie bei keiner anderen Kunstform sind die Artefakte angewandter Kunst dazu geschaffen, sich in unser Leben einzubinden. Deshalb ist es zum Erfassen der Qualitäten dieser Arbeiten nicht ausreichend, sie auf Ausstellungen nur anzusehen. Sie wollen in die Hand genommen, benutzt, „angewandt” werden.

 

(1) Eva Maria Hoyer: Fast Nichts.
In: Ulla und Martin Kaufmann. Sequenzen 1999–2004. Hildesheim 2004, o. S.

(2) Bazon Brock: Warum diese Ausstellung?
In: Die Macht des Alters. Strategien der Meisterschaft. Hrsg. von Bazon Brock
im Auftrag der Stiftung für Kunst und Kultur e. V., Köln 1998, S. 12.

(3) Ebenda.